Hej zusammen,
Es gibt Künstler, deren Werke man erkennt, noch bevor man den Namen liest.
Bei Bertil Vallien ist das so.
Du siehst ein langgezogenes Glasboot, scheinbar schwebend. Oder einen ruhigen Glaskopf, eingefasst in Blau oder Schwarz, das Gesicht wie aus einer anderen Zeit.
Und du weißt: Das ist Vallien.
Sein Stil ist nicht laut. Nicht dekorativ im klassischen Sinne. Und doch – oder gerade deshalb – bleibt er hängen.
Ich erinnere mich an mein erstes „Begegnungserlebnis“ mit einem seiner Köpfe. Ausgestellt in einer Galerie in Göteborg. Ich wusste nichts über den Künstler. Nur, dass dieser Blick – starr, aber nicht leer – etwas mit mir machte.
Von Sollentuna nach Åfors: Der Weg eines Glaskünstlers
Bertil Vallien wurde 1938 in Sollentuna geboren. Er wuchs in einer streng religiösen Familie auf, geprägt von Disziplin und Ordnung. Kunst war kein Thema.
Aber er zeichnete. Schon als Kind. Und wurde – zum Glück – ermutigt.
Er studierte an der Kunsthochschule Konstfack in Stockholm, zuerst Malerei, dann Design. Und lernte dort auch Ulrica Hydman kennen – seine spätere Frau, ebenfalls eine Ausnahmekünstlerin.
Nach einem Aufenthalt in Kalifornien, wo er mit Keramik und Glas experimentierte, kehrte er zurück nach Schweden – und nahm ein Angebot an, das sein Leben verändern sollte: Designer bei der Glashütte Åfors, später Teil von Kosta Boda.
Sandguss: Der Beginn einer eigenen Sprache
Der große Wendepunkt in seinem Schaffen war die Entdeckung des Sandgussverfahrens.
Während viele Glaskünstler auf Blasformen oder Pressformen setzten, interessierte sich Vallien für das Unberechenbare.Beim Sandguss wird flüssiges Glas direkt in eine in Sand gedrückte Form gegossen – rau, spontan, nie exakt wiederholbar.
Das passte zu ihm. Zu seiner Vorstellung von Glas als Medium für Geschichten, für Sinnbilder, für Emotion.
In dieser Technik fand er seine Stimme. Und schuf damit Ikonen.
Das Boot: Ein Symbol für alles
Wer Vallien kennt, kennt das Boot.
Es ist das wohl berühmteste Motiv seiner Arbeit. Mal klein, mal groß, mal transparent, mal tiefblau oder golden. Manchmal leer, manchmal mit eingeschlossenen Köpfen, Zeichen, Spuren.
Das Boot steht für Reise, Übergang, Erinnerung. Für Geburt und Tod.
Vallien sagt selbst:
„Ich benutze das Boot als Gefäß für Gedanken.“
Es ist ein ruhiges Motiv. Und gleichzeitig ein zutiefst emotionales.
Ich glaube, genau deshalb berührt es so viele Menschen – weil es nichts erklärt, aber alles andeutet.

Köpfe, Gesichter, Schatten – Das Spiel mit Identität
Neben den Booten sind seine Köpfe ein zweites starkes Symbol.
Gesichter, eingefasst in Glas, mal realistisch, mal reduziert, mit offenen oder geschlossenen Augen.
Diese Gesichter sind keine Porträts. Sie sind Spiegel.Sie blicken dich nicht an. Sie lassen sich anschauen. Wie Figuren aus Träumen, die in Glas eingeschlossen weiterdenken.
Sie wirken alt – und doch zeitlos.
Ich finde: Sie sind auch ein Kommentar auf unser Bedürfnis, etwas zu erkennen, zu „lesen“. Und Bertil gibt uns ein Gesicht – aber keine Erklärung.
Skandinavisch – und universell
Obwohl Vallien tief in der schwedischen Glastradition verwurzelt ist, sind seine Arbeiten nicht lokal begrenzt.
Seine Werke wurden in der ganzen Welt gezeigt: im MoMA New York, im V&A in London, in Museen in Tokyo, Paris, Berlin, Melbourne.
Er hat mit seiner Bildsprache etwas Universelles geschaffen – eine Art visuelle Mythologie, die keiner Sprache, aber viel Gefühl bedarf.
Kunst, Design, Serie: Ein Balanceakt
Was ich an Valliens Karriere besonders spannend finde: Er arbeitete einerseits frei künstlerisch, andererseits auch für Serienproduktionen von Kosta Boda.
Da sind seine Unikate – große Skulpturen, oft mehrteilig, meditativ.
Und da sind seine bekannten Serien: Teelichthalter, Schalen, kleine Glasobjekte – alle mit seiner Handschrift, aber für den Alltag gedacht.
Und beides funktioniert.
Er hat nie die Grenze gezogen zwischen Kunst und Gebrauchsgegenstand. Für ihn war Glas immer ein Mittel – egal ob für die große Bühne oder den Esstisch.
Mit Ulrica: Zwei Welten – ein Feuer
Seine Ehe mit Ulrica Hydman Vallien war mehr als eine Partnerschaft. Es war ein künstlerischer Austausch.
Sie – wild, expressiv, farbig.
Er – still, symbolisch, tief.
Gegensätze, die sich nicht aufhoben, sondern ergänzten.
Sie lebten zusammen im Glasreich Småland, arbeiteten teils parallel, teils zusammen. Nach ihrem Tod 2018 war Bertil sichtlich getroffen – aber auch erfüllt davon, wie viel sie gemeinsam hinterlassen hatten.
Persönlich: Was ich in seinen Werken sehe
Ich habe keine Sammlung seiner Boote. Noch nicht. Aber jedes Mal, wenn ich eines sehe – in einem Museum, einer Galerie, einem Sammlungsbuch – passiert etwas.
Ich werde ruhiger.
Ich denke an Wege, an Menschen, an das, was war – und kommt.
Vielleicht ist das das Schönste an seiner Kunst: Sie lässt dich nicht staunen, sondern fühlen.
Sie erklärt nichts. Aber sie fragt viel.
Und du darfst antworten – oder auch nicht.
Ein bleibendes Werk – aus Sand, Licht und Seele
Bertil Vallien ist heute über 80 – und immer noch aktiv.
Er gibt Interviews, hält Vorträge, arbeitet weiter in seinem Atelier.
Sein Werk wächst – und bleibt gleichzeitig rund.
Denn es hat alles, was große Kunst braucht:
eine eigene Sprache, ein Gefühl für Zeit – und das Talent, leise Spuren zu hinterlassen.
Fazit: Ein Künstler des Unsichtbaren
Bertil Vallien macht keine spektakulären Kunstwerke.
Er macht stilles Glas.
Gefäße für Gedanken.
Gesichter ohne Namen.
Boote ohne Ziel – aber mit Tiefe.
Und genau deshalb ist er einer der Größten.
Weil er nicht lauter war als andere – sondern klarer.